Mehr Infos Wie ich einmal mein Unternehmen in Mitarbeiter-Eigentum überführen wollte - und dabei scheiterte
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  • AutorenbildMarkus Joseph Franz

Wie ich einmal mein Unternehmen in Mitarbeiter-Eigentum überführen wollte - und dabei scheiterte



Rückblickend weiß ich gar nicht mehr genau, was damals der entscheidende Auslöser bei mir war. Wie so oft im meiner unternehmerischen Laufbahn haben sich die Dinge einfach auf scheinbar wunderbare Weise wie von selbst ergeben.

 

Soweit ich mich erinnere gab es 3 Gründe dafür, mich mit meiner Person als „Chef“ aus dem Zentrum meines Handwerksbetriebes zu entfernen:

 

1.     Mein Sehnsucht nach weniger psychischer Belastung

Nach 7 Jahren als One-Man-Show im Bereich Photovoltaik-Installation und weiteren 4 Jahren als GmbH-Startup hatte mein gesundheitliches Energie-Level und meine Stress-Resilienz einfach etwas nachgelassen. Auch wenn ich froh um personelle Unterstützung war, so hatten die organisatorischen Herausforderungen bei einer Teamgröße von 18 Mitarbeitern doch deutlich zugenommen: Wie ein klassischer Handwerksmeister musste ich mich 2020 darum kümmern, dass die Mitarbeiter Arbeit hatten, das Team sich wohlfühlte und die wachsende Zahl von Kunden am Ende zufrieden waren.

Dieses enorme Arbeitspensum schien in klassischen Handwerksbetrieben normal zu sein: Ich war „Selbständiger“. Das heißt, ich war komplett involviert ins Daily Business und ich war der zentrale Ansprechpartner für alle Fragen des Einkaufs, des Verkaufs und für jedes einzelne Teammitglied.

Irgendwann habe ich vom Unterschied zum „Unternehmer“ gehört: Dieser arbeitet per Definition nicht „im“ Unternehmen, sondern „am“ Unternehmen. Diese neue Sichtweise fand ich als studierter Betriebswirt total interessant und anziehend. Da wollte ich auch hin!

 

2.     Der Wunsch nach Zuverlässigkeit meinen Kunden gegenüber

Meine Kunden waren mir seit Beginn so wichtig, dass ich Ihnen garantieren wollte, dass es mich bzw. meine Firma auch noch in 30 oder 50 Jahren gibt. Aus der Solarbranche hörte ich von vielen verwaisten PV-Anlagen, deren Installateure den Markteinbruch des Solarmarkts ab 2012 nicht überlebt haben und insolvent gingen. So eine Schande wollte ich nicht über mich und meine Kunden kommen lassen. Zuverlässigkeit meinen Kunden gegenüber war und ist mein oberstes Gebot. Also musste ich eine Lösung finden, wie ich meine Person von meiner Firma trennte, mich als zentrale Figur überflüssig machte und zugleich den langfristigen Bestand der Firma gewährleisten konnte.

 

3.     Meine ungelöste Frage der Unternehmensnachfolge

Die Tatsache, dass ich keine Kinder habe, die mein Unternehmen als Familienbetrieb weiterführen könnten, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Hier muss ich nicht mehr dazu sagen: Je mehr Jahre vergingen desto mehr drängte sich der Wunsch in den Vordergrund, bereits zu Lebzeiten eine gute Lösung parat zu haben.

 

 

Die 3 ungeklärten Themen Überforderung – Beständigkeit - Nachfolge machten mich 2020 sehr offen für Lösungsvorschläge. Ich weiß noch, dass ich im Sommer diesen Jahres über mein Netzwerk einen jungen, flippigen Organisationsentwickler aus Berlin kennen gelernt habe, dem der Impact von Unternehmen scheinbar wichtiger war als Profit. Er machte auf mich einen sympathischen und energievollen Eindruck. Noch dazu sprach er in neuen Vokabeln von Agilität, Eigenverantwortung und Mitbestimmung. Von dem Terminus „Gemeinwohl“ hatte ich damals schon gehört.


In meiner damaligen Situation hatte er mich nach kurzer Zeit am Haken. Schnell war klar, dass ich ihn engagieren und mit der Durchführung eines Team-Workshops mit dem Titel „Unternehmens-Vision“ beauftragen würde. Schon damals sprach er von „versteckten Potenzialen in Unternehmen“ und ich konnte nur erahnen, was er damit meinte.

 

Ich freute mich riesig, dass am Workshop im September des gleichen Jahres fast das gesamte Team teilgenommen hat. Ich äußerte dort meinen Wunsch nach einem Sabbatjahr und vermittelte die Vision eines „Cheflosen Unternehmens“.

Die Resonanz aus dem Team war überwältigend: Die große Mehrheit des Teams war offen dafür, diese Idee sehr bald nach einer entsprechenden Vorbereitungszeit mitzutragen. Ich war hellauf begeistert: Der Traum von einer (dringend notwendigen) Auszeit und damit vom „Loslassen“ rückte näher!


(Anmerkung: Diese Freude ist auch in einem Video sichtbar, dass wir damals zusammen mit dem Berater drehen haben lassen. LINK: https://www.youtube.com/watch?v=bm_EcYanb0Q)


Aufgrund der positiven Resonanz haben wir daraufhin einen Beratervertrag für 1 Jahr abgeschlossen, um das Team auf dem Weg zum „zukunftsfähigen, sich selbst organisierendem Unternehmen“ durch eine Reihe von Workshops zu begleiten.

Beim Kick-Off-Workshop zu diesem so genannten „Wandelprozess“ bereits 2 Monate später setzten wir uns das Ziel, weitere 5 Monate später mit einem 6-wöchigen „Testmonat“ zu beginnen, bei der Markus im Unternehmen komplett abwesend ist. Außerdem ging es darum, dem Team die zukünftige Rolle von mir als „Mentor“ zu vermitteln, der nicht mehr im Tagesgeschäft involviert ist und sich aus Detailentscheidungen raus hält.


Bis zum Testmonat sollten wir unsere aktuelle Teamstruktur als Ist-Zustand festhalten und 2 weitere Workshop-Schritte gehen: Wie funktioniert „kollektive Entscheidungsfindung“ und ein neuer „angepasster Führungsstil“?


Das Testmonat ging für mich erfolgreich zu Ende. In einem Reflexionsworkshop am ersten Tag meiner Rückkehr trafen wir uns im Team und tauschten uns darüber aus, wie es gelaufen ist. Grundsätzlich war die Testphase aus Sicht aller Beteiligten sehr erfolgreich verlaufen. Durch Vergabe einer Handlungsvollmacht wurde sogar ein neuer Mitarbeiter während meiner Abwesenheit gekündigt - was völlig angemessen war, weil er mehrmals unentschuldigt fehlte.

 

Nur wenige Wochen später kam bereits die gemeinsame Überlegung auf, ob das Team nicht sehr schnell die ageff als Eigentümer übernehmen wollte. Eine Genossenschaft war als passende Rechtsform in der engeren Auswahl. Auch ich konnte mir diese Rechtsform für die Zukunft der ageff gut vorstellen aufgrund der Möglichkeit, dass sich jeder Mitarbeiter:in auf einfache Weise am Unternehmen beteiligen konnte.


Das Tempo des „Wandelprozesses“ beschleunigte sich derart, dass wir unsere Berater nicht mehr über alle Details informiert haben. Wir fühlten uns alle euphorisch und auf einem soliden Weg. Nun musste aus unserer Sicht „nur noch“ geklärt werden, mit welchem Wert die junge GmbH anzusetzen ist und von der Genossenschaft dann erworben werden kann.

 

Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer.

 

Kurzgesagt: In den Wochen nach dem Testmonat gab es eine zunehmende Spaltung zwischen Team und mir als Geschäftsführer. Ich spürte, dass ich manchmal gar nicht mehr willkommen war. Das Team fühlte sich selbst ermächtigt. Bezüglich einer wichtigen Personalentscheidung, die das Team treffen wollte (Kündigung eines weiteren Mitarbeiters im Vertrieb) hatte ich eine konträre Meinung und mir war der Verbleib des Mitarbeiters wichtig – ja fast lebenswichtig für die Zukunft. Er war für mich ein erfahrener Verkäufer, der groß denken konnte und aus meiner Sicht das Potenzial hatte, später einmal ein Team oder gar eine Niederlassung zu leiten. Leider teilte mein Team diese Sichtweite nicht.


(Hintergrund: Rückblickend würde ich heute sagen, der bisherige Vertriebsleiter, der zugleich Frontmann der Genossenschaftsidee im Team war, sah sich in seiner Position vom neuen Kandidaten bedroht).


Ich stimmte zähneknirschend der Kündigung des vielversprechenden Verkäufers zustimmte - aus Angst vor einer Eskalation mit dem Team und damit aus Angst davor, dass der „Wandelprozess“ zum Stillstand kommt.


Der Konflikt wurde damit aber nur oberflächlich gelöst – nicht in seiner Tiefe. Dies führte in den anschließenden Wochen zu einer weiteren Spaltung zwischen Team und mir als Geschäftsführer.


Deutlich sichtbar wurde diese Spaltung dann beim Firmenwert, den sowohl das Team als auch ich für das Unternehmen veranschlagte. Mein Angebot berücksichtigte nicht nur die vergangenen 4 Geschäftsjahre als Bewertungsgrundlage sondern auch das voraussichtliche zukünftige Entwicklungspotenzial der Firma. Das Angebot meines Teams hingegen enthielt einen Abschlag für die Mit-Teilhabe am Erfolg der letzten Jahre und umfasste am Ende nicht einmal den Wert des Lagerbestandes.


Das fand ich eine spannende Frage: Inwieweit war es legitim, dass die Mitarbeiter, die kein wirtschaftliches (Finanz-)Risiko während der ersten Jahre trugen, jedoch zum Wachstum des Unternehmens durch Ihre Arbeitsleistung beigetragen haben, einen rabattierten Kaufpreis erhielten?

 

Die Preisvorstellungen gingen soweit auseinander, dass keinerlei Berührungspunkte in Sicht waren. Alle Teilnehmer bei dem dafür anberaumten „Übergabe-Gespräch“ waren am Ende darüber sichtlich enttäuscht, dass es keinen Verkauf geben würde. Ziemlich genau 1 Jahr nach dem euphorischen Start fühlte es sich deutlich danach an, dass der Wandelprozess damit beendet war. Eiseskälte und Bedrückung kehrten ein - die Berater wurden gekündigt.

 

Aber damit nicht genug: Es sollte noch schlimmer kommen: Die erschreckende Krönung des ganzen war erreicht, als mir die Kündigung von 5 (wichtigen) Mitarbeitern auf den Tisch flatterten, die keine gemeinsame Zukunft mehr sehen konnten. Dies war der Tiefpunkt: Der Wandelprozess der ageff hin zu einem „zukunftsfähigen und cheflosen Unternehmen“ war gescheitert.


Ein Jahr voller Engagement, Leidenschaft und Freude. Und darauf folgte Desillusionierung, Niedergeschlagenheit, Eiseskälte im Team, Anspannung, Unmut, böse Blicke, Ernüchterung.

Wie ging es weiter?

 

Für mich begann eine Zeit intensiver geschäftlicher Arbeit, um das operative Geschäft von zwei Projektmanagern aufzufangen, die gekündigt hatten. Ich war am Limit mit meiner wöchentlichen Arbeitszeit. Oft waren Samstage und Sonntage dabei. Mein einziger Gedanke: „Die ageff durfte nicht untergehen!“


Mein "Baby" – musste weiterleben – trotz Kündigung rund eines Drittels der Belegschaft. Überstunden waren an der Tagesordnung. Energie reingeben - den Karren weiter bewegen - den Kopf irgendwie über Wasser halten. Während der folgenden Monate war die Angst präsent, wer wohl als nächstes noch kündigen würde.


Ich versuchte weiter wohlwollend mit dem Team umzugehen, auch wenn ich innerlich tief verwundet und emotional deutlich angeschlagen war. Ich war präsenter denn je im Betrieb und versuchte, die Eiseskälte im Team durch Abtauchen in die Arbeit zu überstehen und hoffte auf Besserung. Diese kam langsam nach ein paar Monaten: Es kamen neue Mitarbeiter und damit neuer Wind.


Ein Auzug aus einer Mail an einen Berater aus der damaligen Krisenzeit:

„Ja, ich merke, dass es meine Aufgabe zu sein scheint, mich mehr mit den Menschen im Team zu beschäftigen und Ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Das überfordert mich, ich habe das nie gelernt im beruflichen Kontext und weiß nicht, was angemessen ist und was nicht. Da merke ich hab ich ein Defizit bzw. herrscht Verunsicherung bei mir.“

 

Mitarbeiterführung. Führungskraft. Wieviel Führungskompetenz habe ich eigentlich? Vielleicht mache ich das gut, aber ich bin mir oft unsicher dabei.

 

Eine weitere Meldung hat mich später erneut getroffen – aber nicht mehr so stark: Die 5 ausgeschiedenen Mitarbeiter haben zusammen eine eigene Genossenschaft im Bereich Photovoltaik gegründet. Ich betrachtete diese Firmengründung der „Ehemaligen“ mit sehr gemischten Gefühlen: Von Freude und Stolz über Trauer, Angst und Neid bis hin zu Wohlwollen war alles dabei!

 

Und trotzdem ging es langsam wieder aufwärts. Durch neue Mitarbeiter kam auch neue Positivität in die ageff und die Stimmung im Team hellte sich langsam wieder auf. Die vielen positiven Kundenbewertungen taten auch einen Beitrag dazu.


Wo stehe ich heute?


Heute steht die ageff mit über 30 Mitarbeitern gestärkt auf dem Markt. Was rückblickend sehr spannend ist: Unser „Wandelprozess“ endete gar nicht sondern ging unterbewusst weiter. Bedingt durch das Wachstum der Teamgröße kam ich zwangsläufig zu dem Punkt, in 2022 mit der Einführung von „Teamleitern“ eine zweite Führungsebene zu etablieren. Verständich: Bei 30 Personen war es einfach nicht mehr zeitlich machbar, dass jeder Mitarbeiter bei Fragen auf mich zukam.


Wir kamen intuitiv zu der Idee, dass sich die Teamleiter regelmäßig treffen sollten, um Entscheidungen, die das ganze Team betreffen, gemeinsam zu entscheiden.

Aus diesem Organ der Teamleiter-Runde wurde 2024 „Lenkungskreises“ – unserer erweiterten Geschäftsführung inklusive Vertrauensmann aus dem Kreis der Monteure.

Dank der Marktentwicklung und unserer qualitativ weiterhin guten Arbeit, die wir bei unseren Installationen abliefern, haben wir 2023 ein Rekord-Jahr hinter uns, nicht nur was den Umsatz betrifft: Wir haben einen eigenen ageff-Tarif eingeführt und somit erste Transparenz bei der Entlohnung, viele Mitarbeiter-Benefits etabliert und diesmal neben dem 13. Monatsgehalt sogar erstmals eine Gewinnbeteiligung an das gesamte Team ausschütten.

 

FAZIT

 

Fazit nach über 3 Jahren seit dem Visions-Workshop „Chefloses Unternehmen“:

Der Wandelprozess ist weiter gegangen – auch wenn wir dies nicht so genannt haben und ohne explizit in Workshops daran zu arbeiten. Die Vision in mir und der Wunsch nach Entlastung haben scheinbar dazu ausgereicht. Unbeirrt ging ich weiter auf mein Ziel zu – auch ohne externe Berater und eher organisch.


Eine wichtige Erkenntnis für mich aus diesen letzten Jahren: Ein ständiger Wandel ist unvermeidlich, ja normal! In unserem Unternehmen habe ich gelernt, auf ständige Veränderungen zu reagieren oder diese bereits vorauszusehen. Es ist ein „sich immer wieder neu erfinden“.


Damit die Belegschaft das mitträgt erkannte ich, dass Kommunikation und Transparenz zu den Vorgängen und Überlegungen der Führungsebene notwendig ist.

Bereitschaft zu authentischer Kommunikation und zu einem respektvollen Umgang miteinander ist heute unser Dünger für Erfolg!


Die Erfahrung, die ich mit dem Scheitern gemacht habe, war hart. Und zugleich staune ich darüber, wie fern dieser Tiefpunkt im Rückblick zu sein scheint. Wir sind einfach weiter (daran) gewachsen. Was wäre auch die Alternative gewesen?

 

Zitat aus einer Mail an den Berater kurz nach dem Scheitern: „Unverändert möchte ich die ageff zu einer „sehr modernen“ Firma ausbauen mit den zufriedensten Mitarbeitern, eine Arbeitgebermarke aufbauen, und mich langsam aus dem Alltagsgeschäft zurückziehen und endlich wieder strategisch arbeiten. In der ageff sehe ich ein so großes Potenzial!“

 

Eine große Vision lässt uns vieles ertragen. Mir jedenfalls war sie Treibstoff und Motor dafür, weiterzumachen und unser aller Leben ein Stück weit zum Besseren zu verändern.

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